Gina im Interview
Nachgefragt von Gisela
Berger
Nachdem Jens Müller als „Gina“ 1990 seine Bühnenkarriere
solo begonnen hatte, erweckte er wenig später die Kunstfigur Mandy zum
Leben. Schon bald kam es jedoch zur Trennung und mit einem neuen Partner
zur Gründung des ersten professionellen Travestie-Duos in Sachsen:
„Gina & Mandy“. Seit 1999 arbeitet Jens Müller (Gina Travestie
Show) nun wieder solistisch.
Als Fan hatte ich die Freude, einmal „hinter die
Kulissen schauen zu dürfen“ und
Jens nicht nur auf freundschaftlicher, sondern vorwiegend auf
beruflicher Basis zu befragen:
1.
Hallo Jens! Nicht nur die
Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass Du nach den Programmen „Gina’s
One Man Show“ und „Voll Erwischt“ nun mit einer neuen Show in den
Startlöchern stehst.
Wie
lautet der Titel, und was besagt er?
Jens: „Typ – ich Frau“ heißt die neue
Show. Zuerst sollte die Show „Typisch Frau“ heißen, doch irgendwie
ist das fast schon anmaßend, wenn ich als Mann das sage. So kam es dann
zu „Typ – ich Frau“, wobei natürlich noch immer die Andeutung von
typisch zu erahnen ist. Es ist einfach ein nettes Wortspiel.
2.
Wann und wo ist Premiere?
Jens: Premiere ist im April in Treben im
Gasthof Treben. Ein kleiner Ort neben Altenburg. Speziell für diese
Show wird in Treben eine dreieckige Bühne nach meinen Vorstellungen
aufgebaut.
3.
Welches sind die Höhepunkte
der Show, und welche
„alten“ Ohrwürmer erleben ein Comeback?
Jens: Es gibt wieder so viele verschiedene
Charaktere, dass ich hoffe, für jeden Geschmack einen Höhepunkt zu
haben. Es wird die Power geladene dominante Frau geben und die, die den
passenden Mann sucht, ein kleines Mädchen, die schräge Jugendliche,
die über die Freundin schimpft, eine rappende Hausfrau, eine mystische
Figur fast schon aus 1000 und einer Nacht, einen schwulen Indianer,
sogar das Weihnachtsfest als solches wird aufs Korn genommen. Natürlich
fehlen auch nicht die ernsten Töne und es bleibt die Frage „Wo sind
die Menschen“. Ich werde so ziemlich jedes Thema auf den Tisch
bringen.
Fast alle Titel der Show gab es bei mir schon vor
vielen Jahren. Diese wurden komplett überarbeitet, teilweise neu
betextet, und manche auch derart neu eingespielt, dass sie kaum noch
wieder zu erkennen sind. Es ist alles alt und dennoch brandneu. Die Kostüme
sind natürlich auch alle neu.
4.
„Jetzt kommt der Sex“ ist
auch eine „alte“ Programmnummer, die denselben gehörig auf die
Schippe nimmt. Mit Pikanterie, Erotik, ein bisschen Frivolität, kurz:
dem Kribbeln auf der Bühne, verdreht Gina dennoch den Männern den
Kopf. Es heißt, dass mancher „verdrehte Kopf“ Gina schon an die Wäsche
wollte.
Macht
Dir das Angst, oder genießt Du es, wenn die Männer verrückt nach Dir,
Pardon, nach Gina sind?
Jens: Ich genieße es, wenn die Männer
schwach werden. Männer, die mir nach der Show noch an die Wäsche
wollten, wären mir sehr unangenehm.
5.
Du verwendetest in der Vergangenheit zum größten
Teil eigens für „Gina“ geschriebene Liedproduktionen des
erfolgreichen Song- und Musical-Schreibers Holger Wettstein.
Trifft
dies auch für das neue Programm zu?
Jens: Ja, wie schon angerissen ist es auch
dieses Mal so. Abgesehen vom obligaten „So leb dein Leben“ sind alle
Titel ausnahmslos von Holger Wettstein. (Was wäre Gina ohne ihn?!)
6.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass Du die meisten
der traumhaften Kostüme selbst nähst.
Darfst
Du schon etwas über die neuen Kreationen verraten?
Jens: Bis auf drei Kostüme, die von der
Firma Bodycult genäht wurden, habe ich auch diesmal alles selbst
entworfen und geschneidert. Ich denke, dass ich mich selbst immer wieder
übertreffe.
7.
Wird es auch Online-Videos
geben?
Jens: Selbstverständlich. Doch wann genau
diese zu sehen sind, kann ich noch nicht sagen. Auf alle Fälle so
schnell es geht und möglichst nach den ersten Vorstellungen.
8.
Wie
viel Helfer bzw. Mitarbeiter stehen Dir zur Seite?
Jens: Sehr wenige. Im Vorfeld sind es zum
einen „Bodycult“ und dieses Mal auch das JBZ Lichtentanne, eine
Jugendeinrichtung, die mich mit den Videos unterstützt. Nicht zu
vergessen mein Sponsor, die DVAG Zwickau, der Herr Ralf Beese.
Am Showabend selbst ist dann Minimum angesagt.
Hinter der Bühne kümmert sich ein Mitarbeiter um alles: der Jörg Müller.
Er kleidet mich um und kümmert sich um Ton und Video. Wie er das immer
macht – keine Ahnung. Manchmal glaube ich, er teilt sich, um alles
schaffen zu können. Dann ist natürlich im Saal selbst noch jemand, der
sich ums Licht/den Spot kümmert.
9.
Bist Du lieber hautnah am
Publikum, oder gehst Du eher auf Distanz?
Jens: Jedes hat seine Vorteile. Bin ich nah
dran und hab den Kontakt zu den Leuten, dann wird es meist sehr lustig
und individuell. Distanz ist immer auf großen Bühnen da. Doch diese
haben den Vorteil, dass man durch Dekoration, Video und anderes Zubehör
einfach ins rechte Licht gerückt wird.
10.
Wie lange brauchst Du, um Dich
in Gina zu verwandeln?
Jens: Nägel lackieren, baden/rasieren, dann
eine kurze Pause fürs Gesicht. Das Make-up allein dauert zwei Stunden.
Wobei ich da auch meine Zeit haben will. Gute Musik, einen Kaffee, und
dann auf in den Kampf mit Puder und Pinsel.
11.
Gibt es jemanden, der sich
aufregt, wenn Jens/Gina so lange vor dem Spiegel sitzt?
Jens: Zum Glück nicht. Mein Make-up ist mir
sehr wichtig. Es ist so aufgebaut, dass man mich von Nahem sehen kann,
ohne einen Schock zu bekommen und so, dass man mich auch noch in der
letzten Reihe sieht. Das dauert nun mal seine Zeit.
12.
Falsche Haare, künstlicher Busen, klimpern mit
falschen Wimpern, tolles Make-up, Federn, Pailletten, Strass, Colliers,
Stöckelschuhe …
Alles
nur schöner Schein?
Jens: Ja natürlich. Genau das ist ja auch
das Besondere. Wäre all dies echt, dann wäre ich ja eine Frau von
vielen. So bin ich eine Frau mit einem gewissen Etwas. Das macht es doch
für das Publikum erst so spannend.
13.
Auch eine richtige Frau kann sich mit diesen
Attributen schmücken und ist dann etwas Besonderes.
Also
alles nur f a l s c h
e r Schein?
Jens: Selbstverständlich. Gina ist komplett
eine Illusion. Lediglich der Mensch hinter der Maske ist echt.
14.
Der Mensch hinter der Maske ist ein Mann.
Fühlst
Du Dich nun mehr als Mann, oder mehr als Frau?
Jens: Privat bin ich Jens, auf der Bühne,
im Kostüm, bin ich Gina. Doch was das Fühlen angeht, bin ich immer
ich, und ich bin Jens und ein Mann.
15.
Du ziehst also eine Trennungslinie, und es scheint
so, als wäre Gina die Fassade für den Menschen dahinter.
Warum
willst Du nichts von Dir als Mensch preisgeben?
Jens: Gina ist für nichts eine Fassade. Sie
ist eine Figur, die auf der Bühne steht.
Sie steht auf der Bühne nicht Jens. Sorry, doch
ich möchte auch ein Privatleben haben. Ich halte nichts vom Big
Brother.
16.
Ist Jens Ginas Sklave?
Jens: Nein! … oder doch? Je mehr ich darüber
nachdenke …
Ich sag’s mal so: Ich würde als Mann anders
aussehen, wenn es Gina nicht gäbe. Ich hätte einen kurz geschnittenen
Bart, kurze Fingernägel und sicher auch eine männlichere Figur. Ganz
wichtig – ich hätte Augenbrauen!
Doch ich nehme manches gern in Kauf. Kann man sich
denn was Schöneres vorstellen, als derart schizophren zu sein? –
Haaaa.
17.
Mit der neuen Show feierst Du auch ein bedeutendes
Jubiläum: 15 Jahre Bühnenpräsenz!
Bist
Du schon immer als Frau aufgetreten und wie kam es dazu?
Jens: Ganz kurze Antwort- Fasching
18.
Was kann ein Travestiekünstler
seinem Publikum geben, und was unterscheidet Deine Show von anderen?
Jens: Vieles! Ich kann den Menschen Freude
geben, Lebenshilfe und manchmal auch ein wenig Wärme, wenn die Welt um
einen herum nur kalt und steril ist.
Was unterscheidet: ich … in erster Linie meine
eigenen Lieder. Ich habe einen Textschreiber und Komponisten, mit dem
unsere Ideen in Musik und Worte gewandelt werden. Das nächste wäre,
ich bin kein Kleiderständer, der überdimensionale Federfummel voll mit
Pailletten vorführt. Mir ist es wichtig, möglichst weiblich zu
erscheinen. Viele Travestieshows erinnern bei all den Federn eher an
einen Hühnerhof neben einer explodierten Flitterfabrik. Das ist einfach
nicht mein Ding.
19.
Explodieren erinnert fatal an
Krieg. Würdest Du dem „Hühnerhof“ wenigstens dann eine Chance
geben, wenn er die einzige Alternative zu einer militärischen Uniform wäre?
Jens: Unbedingt!
20.
Gibt oder gab es für Dich
Vorbilder?
Jens: Selbstverständlich. In der Travestie
gibt es nur zwei Vorbilder: „Mary & Gordy“. Doch um möglichst
glaubhaft zu wirken, muss man sich natürlich an wirklichen Frauen
orientieren. Marilyn Monroe, Madonna und all die Diven der guten alten
Zeit, da Hollywood noch diesen Schein des Unerreichbaren hatte. Das sind
Vorbilder.
21.
Als Duo habt ihr anfangs Mary
& Gordy in vielem kopiert. Ist das als reines Nachahmen, oder eher
als Hommage an die beiden zu sehen?
Jens: Gute Frage! Es sollte nie eine Kopie
sein, obwohl viele das so gesehen haben. Sicher lag das aber auch daran,
dass man die Originalkostüme und Präsentation des Liedes nicht kannte.
Wir haben die Musik genommen, doch immer unsere eigenen Vorstellungen
dahinein projiziert. Eine Hommage an die beiden? Ich denke auch das
nicht. Wobei ich beide bis heute verehre. Lediglich das Programm “So
Leb dein leben“ hatten wir Gordy, nach dessen Tod gewidmet.
22.
Gab es deshalb schon mal Ärger?
Jens: Einmal mussten wir uns anhören, dass
wir aus einer Parodie eine Parodie gemacht hätten, was es ja nicht gäbe...
Doch dass es das gibt, hat man ja gesehen. Selbst Mary meinte einmal zu
meiner ehemaligen Partnerin Mandy, dass sie und Gordy es damals zu ihren
Anfängen auch so gemacht hätten. Na, und die Tatsache, dass wir als
„Gina & Mandy“ ihre Musik verwendeten, zeige doch, dass auch wir
sie gut fänden. Und das - so Mary - wäre auch für sie eine Ehre, vor
allem, wenn die Show gut gemacht sei.
23.
Du zeigst am Ende der Show immer Dein wahres
Gesicht.
Wie
reagiert das Publikum, vor allem die Männer, wenn die Maske gefallen
ist?
Jens: Mein wahres Gesicht zu zeigen ist mir
sehr wichtig. Ich verkaufe eine Illusion, nicht mehr und nicht weniger.
Ich sehe mich als Magier der Maske. Dies im Zusammenspiel mit Musik,
Plauderei und den Kostümen ergibt die Show. Doch die Show ist nicht
mein wahres Leben.
Es schockt und überrascht das Publikum, wenn es
sieht, wer hinter der Maskerade steckt. Ich muss dann immer lachen, wenn
ich die Männer zu ihren Frauen sagen höre: „Was man alles mit
Make-up schaffen kann!“
24.
In Deiner Kurzbiographie bezeichnest Du Dich als
Travestiekünstler. Der
„Freie Presse Zwickau“ dagegen sagtest Du (Zitat): „Ich bezeichne
mich unter keinen Umständen als Künstler, das birgt so viel Arroganz
in sich …“
Warum
hast Du Deine Meinung geändert?
Jens: Ich möchte mich eigentlich nicht als
Künstler bezeichnen. Wenn ich sehe, wer sich wofür als Künstler
bezeichnet, dann ist dieses Wort ja fast schon eine Beleidigung. Doch
auf der anderen Seite … Ich entwerfe meine Kostüme und nähe über
90% davon selbst, ich habe mir alles selbst beigebracht: Das Nähen,
Werbung erstellen (Internet, Plakate, Flyer), Videos bearbeiten, meine
eigenen Lieder singen – einfach alles, bis auf die Musik selbst, hängt
an mir. Dafür brauchen andere einen ganzen Stab an Leuten, die das
machen. Unter diesen Umständen muss ich sagen, habe ich mir da das „Künstler“
wirklich verdient? Oder ist das dann doch überheblich?
25.
Wärst Du mit der Alternative
„Unterhalter“ glücklicher?
Jens: Ich will, so gesehen, in keine
Schublade passen. Ich betreibe Travestie als reines Schauspiel. Es ist
vermessen sich als Künstler zu bezeichnen. Dieses Urteil obliegt dem
Zuschauer.
26.
Was macht Jens, wenn Gina in
die Jahre kommt?
Jens: Keine Ahnung. Ich lasse mich einfach
überraschen. Auf alle Fälle wird Gina dann mehr anziehen - hoffe ich.
Haaa
27.
Welche weiteren Zukunftspläne
schweben Dir vor?
Jens: Wenn man an einer Show arbeitet, fällt
einem meist zu Anfang nichts ein und man quält sich fast um ein
ausgewogenes Programm zusammen zu stellen. Doch ab einem Punkt quellen
die Ideen fast nur so hervor. Es gibt schon wieder etliche witzige Ideen
für neue Nummern. Natürlich werde ich in Zukunft auch weiterhin
versuchen einem Ideal nahe zu kommen, welches man nie erfassen kann. Das
ist mein Ziel.
28.
Welche Lebensperspektive
schwebt Dir privat vor?
Jens: Mein Privatleben.
29.
Welche Deiner Eigenschaften
magst Du nicht?
Jens: Das erste was mir einfällt, obwohl es
keine Eigenschaft in dem Sinne ist: Ich neige sehr dazu fett zu werden.
Wenn ich Essen schon sehe, werde ich fett. Das ist furchtbar.
30.
Welche Fähigkeit möchtest Du
Dir gerne aneignen?
Jens: Ich würde gern Englisch lernen, doch
die Zeit lässt es nicht zu. Mein Leben ist einfach völlig spontan. Ich
weiß nie genau, was wann auf mich zukommt.
31.
Wann wirst Du rot?
Jens: Wenn ich in der Sauna
oder bei der Massage erkannt werde
und dann die Frage höre: „Sag, wie machst Du das dann bei der
Show?“
32.
Die Leute scheinen sich
offenbar um Dein „bestes Stück“ zu sorgen. Sogar Mary & Gordy mussten
sich dieser Frage einst stellen. Was antwortest Du, um ihnen ihren
Seelenfrieden zurück zu geben?
Jens: … ich bin auch nur ein Mann!
33.
Mary spielte einst in „Cabaret“ den Conférencier.
Am Ende stand er völlig nackt auf der Bühne.
Hättest
Du, angenommen, Du gingst doch einmal als Mann auf die Bretter,
ebenfalls den Mut, Dich so zu zeigen?
Jens: Diese Frage stellt sich für mich
nicht, da ich als Jens nie auf einer Bühne spielen werde. Wobei Gina ja
auch schon nackt vor der Kamera stand und auch wieder stehen wird.
34.
Möchtest Du zu letzterem
konkreter werden?
Jens: Ich hatte ja vor Jahren schon eine
Serie von Nacktaufnahmen von Gina machen lassen. Ich plane auch schon
wieder neue. Dieses mal wahrscheinlich mit einem Mann zusammen. Es soll
witzig und erotisch zugleich werden. Doch wie es genau wird, das ergibt
sich dann beim Shooting.
35.
Was bringt Dich in Wut?
Jens: Einiges. Ich hasse es, wenn man mich
über Sex befragt. Natürlich habe ich welchen! Mit wem, wie oft, warum
und wieso, das geht doch keinen was an.
Als „normaler“ Mensch wird man doch auch nicht
danach gefragt.
36.
Tröstlich zu wissen, dass Du
nicht als Eunuch dahin vegetierst. Würdest Du jemals ein
normaler Mensch
sein wollen?
Jens: Familie, geregeltes Leben, ein Haus,
ein Auto, ein Pferd – das ist doch eher was für die Werbung im
Fernsehen, aber nicht für mich.
37.
Was tust Du am liebsten?
Jens: Spielt das auf die vorletzte Antwort
an? – Nein, ist nur Spaß. Ich habe gern mal meine Ruhe und will dann
einfach nur privat sein. Ohne Show! Der Hauptgrund, weshalb ich Handys
so hasse und keins habe.
38.
Welche nicht gestellte Frage würdest
Du noch liebend gern beantworten?
Jens: Wie fühlt man sich als alleiniger
Gewinner im Lotto, und was macht man mit dem vielen Geld? Doch ich
denke, das ist eine Frage von der viele träumen.
Ich
möchte dieses Interview nicht beenden, ohne Dir zu Deinem vorerwähnten
Jubiläum herzlich zu gratulieren und Dir für die neue Show immer ein
tolles Publikum, sowie nicht enden wollende Standing Ovations zu wünschen.
Vielen
Dank!
Gern doch, es war mir ein Vergnügen!
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